Um in Lissabons Geschichte einzutauchen, können wir das Orientmuseum, das Marinemuseum oder das Nationalmuseum für Archäologie besuchen - und wir können außerdem im Frühjahr durch die Stadt gehen und schauen, welche Geschichten uns die dort wachsenden Pflanzen erzählen. Auf Lissabons Straßen und Plätzen finden sich Flora aus Südafrika, Süd- und Zentralamerika, Asien und Australien - und natürlich auch Pflanzen, die bereits seit der letzten Eiszeit in Portugal heimisch sind.
Wir sehen Archäophyten wie z.B. das Ackerlöwenmaul: Pflanzen, die sich über Ackerbau und Viehzucht der Jungsteinzeit in Europa ausgebreitet haben. Viele der Archäophyten stammen aus dem Mittelmeerraum, manche jedoch, wie die ursprünglich in Asien heimische essbare Feige, haben einen längeren Weg zurückgelegt.
Wir treffen auf Pflanzen, die von Portugals Vergangenheit als Seefahrernation und Kolonialmacht zeugen: Sie wurden erst nach der dafür relevanten Zeitenwende, Kolumbus Landung auf den Bahamas im Jahr 1492, in Europa heimisch und werden als Neophyten bezeichnet. Die Pflanzen anderer Kontinente wurden zum Teil als Kultur-, Heil-, Gewürz-, oder Zierpflanzen absichtlich nach Europa gebracht, andere Pflanzen kamen als Verunreinigung von Saatgut, über Schafswolle, Vogelfutter oder Verpackungsmaterial; Samen haften an Autoreifen oder sind im Balastwasser von Schiffen. Die Handelsmetropole Lissabon bietet den "Neuen" seit mehr als 500 Jahren ein mildes, frostfreies Klima, um sich anzusiedeln. Einige der Neophyten gelten inzwischen als invasiv: Sie verdrängen heimische Arten und verändern die lokale Vegetationszusammensetzung deutlich.
Als Adventivpflanzen gelten hingegen diejenigen der Einwanderer, die sich bislang noch nicht fest etablieren konnten: Für eine dauerhafte Verwurzelung in der neuen Heimat sind wohl die klimatischen Bedingungen zu ungünstig, die Konkurrenz zu stark oder es fehlt, wie beim Ficus elastica, das passende Bestäuberinsekt.
Arctotheca calendula, Kaplöwenzahn: Stammt aus Südafrika und wurde vermutlich als Zierpflanze nach Europa gebracht, gehört nun in Südeuropa zu den invasiven Neophyten.
Cymbalaria muralis, Zimbelkraut: Ursprünglich aus dem Mittelmeerraum, heute in weiten Teilen Europas, bevorzugt an warmen Mauern.
Ficus elastica, Gummibaum, Indian rubber tree: Indien, Sumatra, Java. Wie alle Feigenbäume ist der Gummibaum für die Bestäubung auf eine jeweils spezialisierte Wespenart angewiesen. Hier in Lissabon ist ihm sein Plastiktopf längst zu klein geworden - dauerhaft etablieren kann sich die Pflanze jedoch ohne die Wespe nicht.
Persicaria capitata, Knöpfchen-Knöterich: Stammt ursprünglich aus Asien und wurde als Gartenpflanze eingeführt - sie verwildert in Regionen mit milden Wintern an steinigen, trockenen Stellen.
Lepidium didymum, Zweiknotiger Krähenfuß: Hat von Südamerika aus die Welt erobert und liebt es hell, warm und stickstoffreich.
Misopates orontium, Ackerlöwenmaul: Eine einjähriger Archäophyt, der gut auf sandigen und lehmigen Äckern gedeiht - aber auch in der Stadt seine Nischen findet.
Cotula australis, Bachelors buttons, Button weed: Stammt aus Australien und Neuseeland und breitet sich in Europa aus.
Parietaria judaica, Mauerglaskraut: Bildet zusammen mit dem Zimbelkraut üppige Pflanzenvorhänge an Lissabons Häuserfassaden. Eine schon lange in Süd- und Westeuropa heimische Art, die namensgebend für die Mauerpflanzengesellschaft Parietarium judaicae ist.
Ficus carica, Ess-Feige: Vermutlich stammt auch sie aus Asien, wird aber seit der Antike im Mittelmeerraum kultiviert und ist überall verwildert, auch auf Lissabons Häuserfassaden. Nur die Feigen vom Smyrna-Typ (Ficus carica smirniaca) benötigen noch Wespen für die Bestäubung, Ficus carica hortensis ist jungfernfrüchtig (parthenokarp) und kommt ohne klar.
Umbilicus rupestris, Echter Venusnabel, Wall pennywort: Eine bereits lange heimische Pflanze der iberischen Halbinsel.
Erigeron bonariensis, Argentinisches Berufkraut: Eine Pionierpflanze aus Zentral- oder Südamerika, die inzwischen überall in den Tropen und Subtropen vorkommt.
Monstera deliciosa, Fensterblatt: Ihren Ursprung hat die Monstra in den tropischen Regenwäldern Zentralamerikas. Der lateinische Name weist auf die Essbarkeit der reifen Früchte hin. Hier im Botanischen Garten in Lissabon gedeiht sie prächtig - dauerhaft etabliert ist sie jedoch vermutlich noch nicht in Portugals Vegetation.
Cyperus eragrostis, Frischgrünes Zypergras: Ein Neophyt aus dem subtropischen Südamerika, der Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa heimisch geworden ist.
Plantago coronopus, Krähenfußwegerich oder Mönchsbart: Eine entlang der europäischen Küsten heimische Pflanze, die auf salzigen und verdichteten Böden wächst, und die in Italien als Salatpflanze gilt: Barba di frate. Es besteht jedoch Verwechslungsgefahr: Nicht botanisch, aber für Rezepte, da in Italien auch eine weitere salzliebende und als Salat verwendete Pflanze, Salsola soda, als Barba di frate oder Barba dei frati bezeichnet wird.